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Mont Ventoux - Bericht Norbert Herdt

    

Dreimal Mond und zurück für Verrückte

In Frankreich gibt es einen exklusiven Club für verrückte Radsportler. Die Aufnahmeprüfung: Von allen drei Seiten auf den Riesen der Provence - an einem Tag

Hier der Bericht:

„An den meisten Alpenpässen habe ich bei der Abfahrt elend gefroren. Am Mont Ventoux streicht der Wind warm um die Beine. Hier muss ich nicht die Zähne zusammenbeißen!“
Der Spiegel

Schönen Dank Herr Schweikle für diesen tollen Reisebericht im Spiegel, aber ich schaffe es jetzt nicht einmal mehr, die Zähne zusammenzubeißen. Es sind gerade noch acht Grad, und hier am Chalet Reynard fängt es urplötzlich auch noch an, wie aus Eimern zu gießen. Ich befinde mich in der Abfahrt nach Sault, um mir meinen fünften Stempel des Tages zu holen, und zittere so dermaßen, dass das ganze Ross samt Reiter wackelt wie ein Schaukelpferd. Vielleicht hätte ich doch die Beinlinge mitnehmen sollen. Oder wenigstens was für die Arme. Die dünne Windjacke aus der Trikottasche ist mit den Launen dieses Mistberges jedenfalls komplett überfordert.

Dabei hatte meine Mission heute früh um kurz nach sieben Uhr noch locker und entspannt angefangen. Alle drei Anstiege müssen in Tagesfrist bewältigt werden, um Einlass zu bekommen in den „Club des  Singles de Mont Ventox“, dem Club der Verrückten. Genau 4455 Höhenmeter und 136 Km. Edith und Jürgen begleiten mich die ersten 21 Kilometer auf meinem ersten Anstieg von Bedoin, der Originalroute der Tour, und wir schlagen ein moderates Tempo an, um nicht schon am ersten Anstieg zu viele Körner zu verbrauchen. Die beiden ertragen es mit Geduld. Bestimmt hätten sie gerne in den steilen Rampen mal richtig Gas gegeben. Aber weiter oben, wo der Pinienwald aufhört und es nur noch Geröll und diese schwarz gelben Stangen am Wegrand gibt, kann ich spüren, dass sie froh sind, noch Restenergien in den Beinen zu haben.

 

Vor allem, weil der Weg in dieser unwirtlichen Mondlandschaft immer noch weit ist. Genau 6 Km und 500 Höhenmeter bis zu diesem hässlichen Turm, der dort vorne in den Himmel ragt. Als wir noch knapp einen Kilometer vor dem Ziel sind, halte ich am Denkmal von Tom Simpson an, um dem Engländer, der 1967 während einer Tour-Etappe genau hier tot vom Rad fiel, die Ehre zu erweisen. Hier, wo sie alle stehenbleiben, um irgendwas abzulegen. Eine Trinkflasche, eine Speiche, aber auch frische Blumen. Auch der sofort herbeigeeilte Tourarzt konnte den Sterbenden damals nicht mehr retten. „Setzt mich wieder aufs Rad“, sollen seine letzten Worte gewesen sein. Ein Opfer des Berges, aber auch des Dopings. Verrückt!

Aber ich habe eine andere verrückte Mission, hole mir meinen ersten Gipfelstempel und verabschiede mich von meinen Begleitern, die wieder hinunter nach Bedoin fahren, während ich auf die andere Seite nach Malaucene einschwenke. 21 Kilometer im freien Fall auf teils noch nassem Asphalt mahnen mich zur Vorsicht. So kann ich in die Gesichter der mir entgegenkommenden Auffahrer blicken, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht hochkommen. Nein, hier hat niemand Spaß, hier wird nicht gescherzt, wie vielleicht an den meisten Anstiegen in den Alpen. Hier gibt es höchstens einen kurzen Gruß oder nur ein ernstes Nicken. Es ist ein Bon Courage für die Leistung des Mitstreiters und die Konzentration auf die Aufgabe, einfach nur oben anzukommen. Es ist vor allem aber der Respekt vor diesem Riesen der Provence, der sich auch ganz schnell von einer anderen Seite zeigen kann.

Diese bekomme ich schon bald zu spüren, als ich den unrhythmischen Anstieg von Maulaucene auffahre. Ich komme irgendwie nicht in eine flüssige Fahrweise, verbrauche mehr Körner als geplant und zwinge mich zum Trinken und Essen. Vor allem ist es jetzt nicht mehr besonders warm, als ich mir meinen zweiten Gipfelstempel hole. Jetzt noch abfahren nach Sault und dann nur noch einmal hierher.

Klingt einfach, aber es sind gerade noch acht Grad, und als ich das Chalet Reynard passiere, komme ich jetzt in dieses Sauwetter. Und nichts dergleichen ist gemeldet! Aber der Mont Ventoux hält für seine Bezwinger immer irgendeine Überraschung bereit. Entweder er grillt sie, er verbläst sie oder er lässt sie fast erfrieren. Das ist es, was diesen Berg so besonders macht. Er ist unberechenbar! Ich fahre jetzt dreißig Minuten nur hinunter, da hat man Zeit zum Rechnen. Dreißig Minuten Zähneklappern, etwa acht bis zehn mal pro Sekunde, macht ca. 16.000 Aufschläge, dann stehe ich in Sault im Marktkaffee und überlege mir, ob ich die Mission nicht abbrechen soll, denn das Wetter verdichtet sich zum Gewitter, und nur mit meiner kurzen nassen Radhose wird es immer unangenehmer.

Trotzdem halte ich mit meinen klammen Fingern der hübschen Bedienung hinter dem Tresen mein Tagebüchlein für Verrückte hin und sie drückt einen „Tampon“, auf Deutsch einen Stempel, auf das Papier. Als sie aufschaut sehe ich diesen Blick. Ein Blick, in dem deutlich steht: Chapeau - Respekt, ein Verrückter! Und genau hier, in diesem Kaffee, fällt meine Entscheidung. Ja, ich bringe diese Mission zu Ende! Aufgeben? Nie!

Also rauf aufs Rad, und los. Diesmal sind es 26 Kilometer bergauf, aber nicht mehr so steil, und trotz Dauerregen stellt sich plötzlich ein Hochgefühl ein. Ich muss mich bremsen, denn in manchen Passagen habe ich fast 20 Kilometer auf dem Tacho. Das kann nicht gutgehen. Vor allem deshalb nicht, weil ja ober noch einmal das volle Programm an Stangen kommt. Nochmal sechs Kilometer Mond.

 

Am Chalet Reynard gönne ich meinen Beinen noch eine Cola und dann gehe ich die allerletzte Passage an. Es wird die härteste, denn dieser elende Turm kommt und kommt nicht näher. Ich zähle die Pedalumdrehungen. Tröste mich, dass ich trotz beginnender Kniebeschwerden nach über 4400 Höhenmetern und knapp acht Stunden auf dem Rad immer noch weitaus schneller bin als beim Schwimmen. Dann sehe ich wieder das auf der Straße aufgemalte Rad und den Dreizack von Tourteufel Didi Senft. Jetzt ist es nicht mehr weit. Nur noch wenige Kurbelumdrehungen, dann kommt die letzte steile Kurve.

Noch die letzten Meter, und dann packe ich mein sorgsam gehütetes Stempel-Dokument aus der wasserdichten Plastiktüte. Der Mann im Kiosk kennt mich mittlerweile, drückt mir den dritten Gipfel Stempel in das Feld "SOMMET" hinein und ich sehe genau was er denkt: Chapeau, ein Verrückter!

DANKE an alle für die guten Wünsche.

Von: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 
Gesendet: Samstag, 28. Juni 2014 17:51
An: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Betreff: CLUB DES CINGLES DU VENTOUX

Hello Norbert,
I have just received your letter. Thank you for your detailed explanation.
Congratulations on your success!
Do not worry, it is not forbidden to stop at Chalet Reynard!
I send your card Pic Christian who handles registrations.
He will send you your card with the registration number and remember well deserved medal!
best regards,
Florence

 

http://www.flieshardt.net/artikel/ventoux-fur-verruckte/
http://www.spiegel.de/reise/europa/per-rad-auf-den-mont-ventoux-der-erbarmungslose-a-907509.html