Athletenbericht von Heike Ziemen: Marathon-Debüt Frankfurt 2019
Mein Marathonjahr 2019
ES WAR EINMAL
Weihnachten 2018. Familienfeier mit viel Rotwein. Mein Bruder Harald (BJ1961) muss sein Marathondebüt krankheitsbedingt auf 2019 verlegen. Da melde ich mich doch einfach auch an.
Das Ziel wird in die PolarFlow App eingegeben und ein Trainingsplan ist schon erstellt. Edith stellt uns ihr Marathon Buch zur Verfügung und das Training beginnt.
Wir laufen strikt nach Puls, was oft sehr lustig aussieht – wenn wir versuchen nicht von Wanderern oder Walkern überholt zu werden. Wir sind voll motiviert und lassen keine Trainingseinheit ausfallen.
Edeltrud und Susi springen ein, wenn ich einen Trainingspartner brauche. Es macht richtig Spaß – allerdings vermisse ich die Truppe vom Ausdauersport – aber da muss ich durch.
Erstes Highlight des Jahres soll der HM in Würzburg sein. Harald muss leider nach wenigen KM wegen Wadenproblemen aufgeben und ich bring den Lauf gut durch. Die schönste Erinnerung ist das Bild meiner fast 80-jährigen Mama mit der roten Trillerpfeife wie sie mich anfeuert. Dafür hat sie ein Küsschen verdient. Vom Ergebnis bin ich etwas enttäuscht, den ich habe alles gegeben.
Anfang August beginnt der „echte Trainingsplan“ den uns Michelle zur Verfügung gestellt hat. Zielzeit 4:15 wird angepeilt. Ab sofort ist es vorbei mit lustig. Akribisch wird der Plan abgearbeitet, zu groß ist die Angst nicht richtig vorbereitet zu sein.
Jetzt folgen viele tolle Sonnenaufgänge (wir starten oft schon um 5 Uhr morgens – das ganze soll ja sozial verträglich sein), im Urlaub am Chiemsee begleitet mich Joachim mit dem Fahrrad, eine andere Trainingseinheit absolviere ich mit einem Halbmarathon in Bad Aibling, um das Pensum zu schaffen.
Nach dem ersten 30km Lauf würde ich am liebsten die Laufschuhe in die Tonne werfen. Obwohl wir im 7:00 Schnitt laufen, bin ich fix und fertig. Wie soll man das im 6:00 Schnitt schaffen? Macht das alles Sinn? Passt so ein hartes Training zu mir? Ich gehöre ja eher zu der Prosecco-Truppe, die in erster Linie Spaß haben will und keinen Druck in der Freizeit braucht.
Aber Aufgeben ist jetzt auch keine Option mehr.
Kurzfristig melden wir uns in Aschaffenburg zum Halbmarathon an, da wir 18 km im Renntempo auf dem Plan haben. Wir starten ganz hinten um uns erstmal einzulaufen. Ich habe ein nettes Gespräch mit einem Crocs-Läufer über Sinn und Unsinn von Barfußlaufen. Wir klatschen Kinder ab und machen Späßchen mit den Streckenposten. Wir kommen locker durch und müssen uns sogar bremsen. Was für ein tolles Gefühl. Jetzt sind wir mega motiviert, wir absolvieren auch noch den Rest des Trainingsplans.
Mit Maui nochmal die Gel- bzw. Dattel-Einnahme besprochen und warten bis es soweit ist. Jetzt heißt es die Taperingphase genießen und sich auf den großen Tag freuen.
DER ERSTE (und vielleicht einzige) MARATHON
Am Samstag morgen schreibt mir meine Tochter Catharina, wie stolz sie auf mich ist und dass ein ganzer Fanclub unterwegs nach Frankfurt ist. Die ersten Tränchen kullern schon….
Bin froh, dass zu den ganzen TVG Männern auch Jutta und Dani vor Ort sind. Stefan möchte mit uns laufen und wir müssen ihm nur folgen, was beruhigend ist in dem ganzen Trubel. Stefan gibt uns viele nützliche Tipps durch seine lange Marathon Erfahrung. Und das Rennen beginnt.
Wir fühlen uns wohl und genießen das Event. Bis zum Halbmarathon sind wir alle drei gut im Rennen und haben richtig Spaß. Es gibt viel zu sehen auf der Strecke: Clowns; Steinzeitläufer mit Stamm auf der Schulter; Männer in lustigen Anzügen, Läufer in Feenkostümen, Barfußläufer und viele coole Sprüche-Schilder der Zuschauer. Wir werden gar nicht überholt und lassen so manchen Läufer hinter uns. Einmal noch schnell durch das „Wünsch dir was“ Tor für einen guten Zweck, auch wenn es ein paar Meter mehr bedeutet. So viel Zeit muss sein.
Jetzt kommen Schmerzen im Fuß. Anscheinend ist mein Schuh zu fest gebunden und ich muss kurz aus dem Feld - nützt allerdings leider nicht. An der nächsten Verpflegung nochmal Schuh richtig aufmachen, neu schnüren, jetzt ist der Schmerz weg. Gott sei Dank.
Bis ich Harald wieder eingeholt habe, ist Stefan nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich ist er vor uns? Ab sofort sind wir auf uns alleine gestellt.
Bei KM 30 fang ich an zu jammern. „So was mach ich niiiiiiiie mehr, lauf lieber ohne mich weiter, ich muss etwas Tempo rausnehmen“ aber mein „großer Bruder“ meint nur „jetzt haben wir 10 Monate gemeinsam trainiert – jetzt laufen wir auch gemeinsam weiter“ Ich bin gerührt. Mit Spaß hat es jetzt aber wirklich nicht mehr viel zu tun. Es regnet inzwischen und es ist saukalt. Ich denke daran, dass Christian Weis wahrscheinlich schon duscht.
Immer mehr Läufer bekommen Krämpfe oder gehen inzwischen. Wir können problemlos durchlaufen. Denke an Corinna in Nepal - achte automatisch auf meine Haltung. Anscheinend haben wir uns genau richtig vorbereitet. Ein gutes Gefühl kommt zurück.
Als Dani, Jutta, Heiko und unsere Fans wieder in Sichtweite kommen, ihr bestes geben und uns anfeuern ist die Welt wieder in Ordnung.
Plötzlich, bei KM 39 autscht Harald auf – er hat starke Schmerzen in der Leiste und kann nicht mehr weiterlaufen. Wir gehen bzw. humpeln gemeinsam ca. 2 km, er versucht immer wieder anzulaufen, aber nichts geht mehr. Selbst beim Gehen hat er Schmerzen.
Er möchte unbedingt dass ich weiterlaufe und nachdem ich total durchgefroren bin, trabe ich langsam wieder an. Der Traum vom gemeinsamen Zieleinlauf ist dahin. Schon wieder Pippi in den Augen.
In dem Moment kommt der Pacemaker mit der 4:30 Fahne. Wenn ich vor ihm ins Ziel komme, ist das Ziel trotz gehen noch zu erreichen. Einerseits freue ich mich auf den Zieleinlauf, andererseits mach ich mir große Sorgen, ob Harald sich wirklich ins Ziel schleppen kann. Jetzt sehe ich nochmal Edeltrud, die ich erstmal drücken muss. Das ist wichtiger als die Zeit.
Direkt vor der Festhalle steht die Familie mit der ganzen Fanmannschaft. Jetzt laufen die Tränen ohne Ende. Rein in die Halle und ich höre meinen Namen. Susi und Harald stehen in der ersten Reihe und feuern mich an. (Harald verdanke ich auch mein tolles Profilfoto).
Ich bin so überwältigt, dass ich direkt im Ziel gar nicht weiß wohin mit mir. Kurzentschlossen drück ich erst mal einen von den Typen die da halt so rumstehen. Er lässt es über sich ergehen und nimmt es tapfer hin.
Eine nette Helferin erlaubt mir im Zielbereich zu bleiben um auf meinen Bruder zu warten. Nach unendlichen 5 Minuten kommt er total durchgefroren durchs Ziel gehumpelt. Wir versuchen uns mit Brühe und Tee aufzuwärmen und so schnell wie möglich unter die Dusche zu kommen.
Jetzt folgt die letzte Hürde des Tages. Es stehen pro Duschcontainer 20 mehr oder weniger nackte Frauen Schlange. Als ich endlich an der Reihe bin, stellt sich die Frage: wie soll ich die Stufe zu den Duschen bewältigen? Und kurz darauf das nächste Problem, wie komm ich wieder runter. Gut dass es da keine Kameras gab.
Darauf hat mich niemand vorbereitet J
Aber auch das wurde mit Bravour gemeistert und irgendwann sitze ich im Auto (Sitzheizung auf volle Stufe) und schalte das Handy an. Gefühlte 1000 Glückwünsche, Bilder und liebe Nachrichten. Es hört gar nicht auf zu vibrieren. Sooo viele haben mit uns mitgefiebert, auch so viele, die mit Laufen nichts am Hut haben. Unglaublich.
In unserer einzigen Kneipe in Eichelsbach treffen wir uns nochmal alle zum feiern und lassen den Tag ausklingen.
FAZIT:
Ich bin überglücklich – der Aufwand hat sich gelohnt.
Hab irgendwo gelesen, dass man während eines Marathons 1,5cm kleiner wird,
ich fühle mich aber mindesten 10 cm größer.
DANKBARKEIT – DAS DIE GESUNDHEIT UNS SO ETWAS ERLEBEN LÄSST
DANKBARKEIT – FÜR MEINEN MANN UND DIE KINDER, FÜR DIE GEDULD
DANKBARKEIT – SO EIN EVENT ZUSAMMMEN MIT MEINEM BRUDER ZU ERLEBEN
DANKBARKEIT – FÜR DIE TOLLEN FREUNDE UND WEGBEGLEITER
EURE HEIKE AUS EICHELSBACH, die hiermit für alle Zeiten den Titel Weichei verloren hat ;-))